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Forschung zur Umnutzung: typische Konflikte und Vermittlungsmöglichkeiten

Forschung zur Umnutzung: typische Konflikte und Vermittlungsmöglichkeiten

Autoren:
Heike Oevermann

Fragment eines Hauses als Kunst im Museum Bildurheberrechte: Norbert Tempel

Neue Architektur
Wie im Abschnitt Adaptive Reuse schon beschrieben, die (Um-)Nutzung von Industriedenkmälern wird zunehmend auch aus der Perspektive der Stadtentwicklung und ökonomischen Interessen diskutiert. Dabei ändert sich auch die Rolle neuer Architektur.

Industriekomplex Zollverein in Essen; Copyright Heike Oevermann Die neue ‚Gangway‘ zur ehemaligen Kohlenwäsche, heute Besucherzentrum und Ruhrmuseum im Industriekomplex Zollverein. Copyright: Heike Oevermann

Architektur entsteht seit Jahrtausenden in und neben historischen Bauten, Ensembles und Stätten. Dieses Weiterbauen prägt die Baugeschichte. Auch bei und in Denkmälern wird, seit es sie gibt, gebaut in Sinne von Umbau, Erweiterungsbau oder Nachverdichtung. Oftmals sind auch hier Funktionserweiterungen oder Umnutzungen ein Thema. Genauso lange bestehen die Auseinandersetzung über die Angemessenheit von baulichen Eingriffen, über die Sensibilität der neuen Architektur gegenüber dem Alten usw. Beim Denkmal und auch beim Industriedenkmal gründen Entscheidungen über neue Funktionen, bauliche Eingriffe und neue Architekturen auf einer systematischen Erfassung und Bewertung des historischen Bestandes. Detailliertere Informationen zum Erkunden, Dokumentieren, Planen sind dem gleichnamigen Kapitel in diesem Handbuch zu entnehmen.

Im Kontext von Standort-, Stadt,- und Regionalentwicklung (vergleiche Kapitel Industriedenkmal und Stadtentwicklung) dienen auch neue Architekturen im und / oder neben dem Industriedenkmal als sichtbare Zeichen, die wiederum als Identifikations-  und Alleinstellungsmerkmal  dienen können und zu einem Imagewandel des Ortes potentiell beitragen. Von daher verwundert es nicht, dass oftmals auffällige und hochherausragende Architekturen an ehemaligen Industrieorten geschaffen werden, wie z. B. der Helsinkidreispitz genannte Neubau von Herzog & de Meuron im Dreispitzareal in Basel, Schweiz, dem ehemaligen Waren- und Zollfreihandelsareal. Oder es werden architektonisch auffallende Elemente ergänzt, wie u.a. die goldene Farbigkeit und der neue Turm bei der Fondazione Prada in Mailand, Italien, eine Umnutzung einer ehemalige Alkoholfabrik, neu gestaltet durch das Büro OMA. Oder neue, weit sichtbare Signes oder Screens entstehen bei Umnutzungen, so die Videowand auf der ehemaligen Union-Brauerei heute Zentrum für Kunst und Kreativität in Dortmund.

Für all diese Architekturen besteht jedoch bei einem Industriedenkmal aus Sicht des Denkmalschutzes der Bedarf an einem Abwägungsprozess, in dem entschieden werden muss, inwieweit die historische Materialität und/ oder das historische Erscheinungsbild des Industriedenkmals verändert wird. Beides kann als nicht denkmalverträglich bewertet werden. Es empfiehlt sich, frühzeitig die Denkmalschutzbeauftragten in die Planungsprozesse einzubinden um diese Fragen abzuklären.

In der Architektur- und Stadtplanung wird häufig das Instrument des Masterplans eingesetzt, dass auch bei der Umnutzung großer Industriedenkmäler, wie z. B. Zeche Zollverein, genutzt wurde. Der Masterplan gibt eine räumlich-architektonische Antwort, wie Erhaltung und Entwicklung des Industriedenkmals für die nächsten Jahre und Jahrzehnte aussehen können. Dabei werden auch die neuen Funktionen definiert. Ein Masterplan hat den Vorteil, dass er für die Beteiligten leicht verständlich viele Fragen klären kann, z. B. ob und wo neue Architektur entstehen kann, wie die Einbindung in die Umgebung organisiert wird, welche Funktionen die historischen und neuen Bauten und Anlagen erhalten, was konkret erhalten bleibt und was abgerissen wird , wo Parkplätze entstehen und wo der Anschluss an das örtliche Bussystem geschaffen wird. Der Nachteil eines Masterplans ist dann gegeben, wenn dieser zu genau und umfassend Festlegungen trifft, die für Jahre bindend sind. Dies ist insofern problematisch, da keiner die sich verändernden Anliegen,  Bedarfe und Möglichkeiten von Seiten der Politik, Wirtschaft und Bewohnern vorhersagen kann. Von daher ist zu empfehlen, den Masterplan mit Fixpunkten, z. B. Schutzobjekten, die unbedingt erhalten werden müssen, und Flexibilität, z. B. möglichen Baufeldern, auszustatten.

Ausgewählte weiterführende Literatur zum Thema: 

Oevermann, H. & Mieg, H.A. (2015). Transformation of industrial heritage sites. Clash of Discourses. London, New York: Routledge.

Baum, M.; Christiaanse, K. (2012). City as loft. Adaptive reuse as a resource for sustainable urban development. Zürich: GTA Verlag.

Institut für neue Industriekultur INIK (2009). Industriebau als Ressource. Berlin: Jovis.

Pfaff Areal Kaiserslautern, Deutschland

Forschungen zeigen typische Konflikte  und Vermittlungsmöglichkeiten

Die Umnutzung von Industriedenkmälern fordert außer den Denkmalschützern auch Eigentümer, kommunal Verantwortliche und Planer heraus. Die Frage, wie hier Erhaltungsanliegen und Veränderungsbestrebungen gemeinsam gedacht und geplant werden können, ist zunehmend von Interesse. Offensichtlich ist, dass verschiedene Akteure, gesellschaftliche Debatten und Diskurse bei den denkmalbezogenen Planungs- und Managementprozessen eine wichtige Rolle spielen. Dabei entstehen Konflikte, die gelöst werden müssen.

Industriekultur ist nicht nur eine Frage von Identität und Tradition, sondern das industrielle Erbe ist Teil unserer Städte und ihrer Transformationen. Die Anerkennung, Erhaltung und Veränderung dieses Erbes ist damit eng mit städtischen Planungsprozessen verbunden. In diesem Kontext bestehen in Europa nicht nur unterschiedliche Planungstraditionen, sondern auch divergierende Vorstellungen von Erhaltung. Vielfältige Fallbeispiele aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Russland, Schweiz, Ukraine, Ungarn, USA, aber auch aus Indien oder China zeigen, dass außer dem Denkmalschutz die Stadtentwicklung beziehungsweise Standortentwicklung und neue architektonische Entwürfe maßgeblich die Entwicklung historischer Industrieareale bestimmen. In dieser Konstellation gibt es zwei zentrale Probleme:

Erstens, es widersprechen sich die Kulturbegriffe von Denkmalschutz und Stadtentwicklung teilweise. Kultur ist zunehmend anerkannt als ein Faktor der Stadtentwicklung. Dies ermöglicht, dass Denkmal- und Kulturerbeschutz als ein Teil der Kultur aktiviert wird und darüber Legitimation und Bedeutung erlangt. Gleichzeitig widerspricht der Schutzgedanke des Denkmalschutzes einem dynamischen Kulturbegriff, der städtische Entwicklung und kontinuierliche Veränderung beinhaltet und unter anderem in der Kultur- und Kreativwirtschaft relevant ist.

Zweitens bestehen unterschiedliche Ansprüche an aktuelle architektonische Entwürfe. Während der Denkmal- und Kulturerbeschutz die authentische und unversehrte Erhaltung eines Zeugnisses anstrebt, zielen die Stadtentwicklung, sowie Eigentümer und Investoren auf die visuelle und symbolische Erkennbarkeit und Vermarktung besonderer Orte. Gezielte Eingriffe und Veränderungen erzeugen Aufmerksamkeit, sogenannte „iconic architecture“ entsteht. Architekten streben eine Interpretation und Neu-Gestaltung räumlicher und baulicher Substanz an. Ein Entwurf muss all diese Facetten berücksichtigen. Diese Konflikte sind der Normalfall der planerischen Praxis im Umgang mit Industriedenkmälern.

Mit den Konflikten gehen unterschiedliche Vorstellungen von Erhaltung einher. Während für Konservatoren eine Erhaltung wichtig ist, die sich an der Authentizität historischer Materialität und visueller Integrität misst, reicht Stadtentwicklern oder Eigentümern oft die Erhaltung eines wiedererkennbaren Zeichens: eine Landmarke, eine besondere Fassade oder auch technische Ikonen. Architekten vermögen die besondere Atmosphäre eines solchen Ortes und seine besonderen räumlichen Qualitäten aufzuspüren. Erhalten bedeutet hier oft die Erhaltung und die Interpretation von etwas Charakteristischem.

Denkmalschützer, Stadtplaner und Architekten unterscheiden sich in ihren Zielen (Was soll erreicht werden?) und Konzepten (Was sind die Modelle, Begriffe, Instrumente?), Grundannahmen (Wovon wird ausgegangen?) und Werten (Was ist wichtig?). Die Sichtweisen der drei Disziplinen können sozialwissenschaftlich betrachtet als Diskurse beschrieben werden. Diskurse werden in der Praxis meist als Perspektiven bezeichnet. Denkmalschützer, Stadtplaner und Architekten beeinflussen mit ihren Perspektiven die planerische Praxis. Bei der Erhaltung und Entwicklung von Industriedenkmälern ist die Konstellation und Interaktion dieser drei eingeführten Diskurse wirksam. Das heißt, Denkmalschutz, Stadtplanung und der architektonische Entwurf bestimmen, wie ein Industriedenkmal umgenutzt wird. Manchmal kommen weitere Akteure, wie neue Nutzer und ihre Perspektiven zu dieser Konstellation dazu. Typisch ist jedoch die Konstellation von Denkmalschutz, Stadtplanung und architektonischem Entwurf.

Diese Konstellation wurde in mehreren Fallbeispielen empirisch auf ihre Konflikte und die Vermittlungen dieser Konflikte hin untersucht. Die Ergebnisse eines DFG Forschungsprojektes (MI 788/4-1,2) zeigen, dass die oben angesprochenen Konflikte in der Praxis auftreten. Gerade die Authentizität und Integrität des Industriedenkmales zu erhalten, ein zentrales Anliegen des Denkmalschutzes, führt zu Konflikten. Die Lösung dieses Konfliktes liegt nicht darin, dieses Anliegen aufzugeben, denn damit wäre auch die Besonderheit des Denkmals zerstört. Die Erforschung der Praxis hat gezeigt, dass die Konflikte vermittelt werden können. Neben der klaren Kommunikation über die konkreten Denkmalwerte spielen Werte (Was ist wichtig?) eine wichtige Rolle in der Praxis der Kooperation. Erhaltung und Entwicklung sind (mittlerweile) im Denkmalschutz, der Stadtplanung und der Architektur wichtig und bilden so eine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz der denkmalverträglichen Entwicklung zu verstehen. Denkmalverträgliche Entwicklung bezieht Entwicklung – ein zentraler Wert der Stadtentwicklung – in den Teildiskurs Industriedenkmal mit ein. Es beschränkt aber Entwicklungsanliegen und damit einhergehende Veränderungen des Industriedenkmals auf die Frage nach der Denkmalverträglichkeit. Hier wird deutlich, dass Denkmalpfleger Entwicklungsanliegen unterstützen, aber nur, wenn das damit verbundene Vorhaben, der Entwurf oder der bauliche Eingriff noch denkmalverträglich sind. Zweitens erlauben sogenannte vermittelnde Werte, also Werte, die von unterschiedlichen Diskursen getragen werden, Konflikte zu überwinden. Zentral ist beispielsweise für alle Disziplinen die Zugänglichkeit zu dem Industriedenkmal, da ohne eine geregelte Zuwegung keine Nutzung möglich ist. Kompromisse können hier zum Beispiel erzielt werden, wenn ein architektonisches Projekt zu einem Teilverlust der historischen Materialität führt, dafür aber eine neue Zugänglichkeit hergestellt wird. Es hat sich herausgestellt, dass weitere vermittelnde Werte, wie der Charakter des Areals oder eine gestalterische Sensibilität, wichtig sind.

Am Beispiel Zeche Zollverein hat sich herausgestellt, dass erstens, Architekturproduktionen, wenn sie denn sensibel mit dem historischen Kontext verbunden werden, wichtige neue Raumangebote herstellen können, die für eine Entwicklung der Industriedenkmale notwendig sind. Hierbei ist die Schwierigkeit gegeben, eine angemessene Balance zwischen Alt und Neu herzustellen. Ein neues Image, hergestellt durch laute Inszenierungen und auffallende Architektur, kann schnell die Identität und historische Besonderheit des Ortes zerstören. Dagegen ist es möglich in der Wiederbesinnung auf eine jahrhundertalte Tradition des Weiterbauens in der Architektur, in der Wissen und gestalterische Fähigkeiten um Typologien, Struktur und Materialien vorhanden waren, Kontinuität und Wandel zu vereinbaren.

Zweitens, der Denkmalschutz dann leichter integriert werden kann, wenn Nutzung und Entwicklung der historischen Industrieareale mittels symbolischer Produktionen stattfindet. D.h. wenn weniger auf eine Transformation des gebauten Raums als auf eine Veränderung der Wahrnehmung der Räume und Orte gezielt wird. Dabei wird eine neue Bedeutungsschicht über das materielle Erbe gelegt, die dafür die authentische Materialität nicht zerstören muss, sondern eine Ambivalenz zwischen Historischem und Gegenwärtigem herstellt. Ein kleines Beispiel im Detail findet sich bei der Umnutzung der alten Waschkaue von Zollverein, wo der Theaterraum betreten wird durch einen ehemaligen Brauseraum, der noch mit den historischen Seifenschalen und (neuen) Seifenstücken bestückt ist.

Drittens, in Bezugnahmen auf die Wertsetzung der Gestaltung und Kreativität, können sowohl die Architekturproduktion wie auch kreativwirtschaftlichen Akteure zu innovativen Lösungen beitragen. Diese sind notwendig, um die komplexen Herausforderungen, die durch umzunutzende Industriedenkmale an Denkmalschutz und Stadtentwicklung gestellt werden, zu beantworten. Dabei wirken z. B. denkmalpflegerische Auflagen nicht als Problem, wie es häufig dargestellt wird, sondern gerade diese Grenzen für Standardlösungen ermöglichen erst neue gedankliche und planerische Wege, wie die Innovationsforschung zeigt.

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Ausgewählte weiterführende Literatur zum Thema: 

Oevermann, H. (2016). Industrial heritage management in the context of urban planning.

Oevermann, H., Mieg, H.A. (2012). Städtische Transformationen erforschen: Die Diskursanalyse im Bereich Denkmalschutz und Stadtentwicklung. Forum Stadt 3/2012. 319-326