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Steuerungsmöglichkeiten bei der aktiven Planung von Verlust

Steuerungsmöglichkeiten bei der aktiven Planung von Verlust

Autoren:
Jens Daube

Für Industriedenkmale ist zumeist der Erhalt der Gesamtanlage das grundsätzliche denkmalpflegerische Ziel. Der dauerhafte Erhalt von Industrieanlagen ist vor dem Hintergrund der heutigen Förderlandschaft besonders bei sehr großen Anlagen aber nicht immer für alle Bestandteile möglich. Für einen Substanzverlust kann es mehrere Gründe geben: z.B. wird eine wirtschaftliche Erhaltung und Nutzung von Teilen der Anlage für nicht realisierbar gehalten oder aber einzelne Anlagenteile können soweit zerstört sein, dass

  • sie für das Verständnis der Gesamtanlage nicht zwingend erforderlich sind und deshalb für die Denkmalpflege von geringer Relevanz sind.
  • ihre Instandsetzung einer Rekonstruktion gleichkäme;
  • von ihnen Gefahren ausgehen;
  • großflächige (z. B. Korrosionsschutz-) Maßnahmen bei Erhalt von Kleinteilen nur unzureichend durchgeführt werden können.

Ergibt sich aus diesen Gründen die Notwendigkeit, nicht nur den Erhalt des Ganzen, sondern auch den Verlust von Teilen zu diskutieren, sollte dies einem Planungsprozess unterzogen werden, der mit allen Beteiligten abgestimmt wird.
Genau wie bei der Erhaltungsplanung, sollten auch Verluste nicht „einfach so passieren“, sondern durch einen aktiven Planungsprozess gesteuert werden. Die Verlustplanung benötigt also Vorgaben, die auf nachvollziehbaren Kriterien beruhen.

Vorgaben für die Verlustplanung
Welchen Vorgaben kann die Planung von Verlusten nun folgen? Hier werden in der Regel denkmalpflegerische Ziele zu formulieren sein. Jedes Anlageteil ist dann im Hinblick auf unterschiedliche Kriterien zu bewerten sein:

  • technikgeschichtliche Bedeutung,
  • Bedeutung im Produktionsprozess,
  • Erhaltungszustand,
  • serielle Häufigkeit,
  • Bedeutung für das Erscheinungsbild der Anlage usw.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen mit dem Erhalt von Funktionszusammenhängen und dem Erhalt des äußeren Erscheinungsbildes oder der Kubatur zwei unterschiedliche Ansätze genannt und in ihren Auswirkungen auf die Verlustplanung skizziert werden:

Funktionszusammenhänge erhalten
Bei einer Schwerpunktsetzung im Hinblick auf Funktionszusammenhänge hat die Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit der industriellen Prozesse Vorrang, die für die stillgelegte Industrieanlage typisch waren. Können nicht alle in dem Industriedenkmal ursprünglich vorhandene Abläufe erhalten bleiben, wird die Verlustplanung zuerst diejenigen Anlagenteile für den Abbruch vorsehen, in denen nicht die zentralen Produktionsprozesse abliefen oder die im Produktionsablauf seriell vorhanden sind. Als Beispiel hierfür mag der partielle Abbruch der so genannten weißen Seite einer Kokerei stehen, bei gleichzeitiger Erhaltung der so genannten schwarzen Seite, in der der für eine Kokerei zentrale Produktionsprozess der Koksherstellung stattfand. Diese Kernzone und die dort verorteten zentralen Produktionsprozesse werden vollständig und dauerhaft konserviert, die Nebenanlagen zur Verarbeitung der Abfallprodukte der Verkokung werden teilweise geopfert. Allgemein gilt für die Entscheidungsfindung: Für die Beurteilung der Bedeutung der einzelnen Funktionsabläufe und der technikgeschichtlichen Bedeutung der einzelnen Bestandteile sollte ein entsprechender Fachmann befragt werden.

Erscheinungsbild erhalten
Im Gegensatz dazu werden die Bemühungen um den Erhalt einer Gesamtanlage in ihrer prinzipiellen Kubatur immer zur Folge haben, diejenigen Gebäude und Anlagen zu erhalten, die das Erscheinungsbild prägen. Dies wird notwendigerweise zu einer „Entfeinerung“ und dem Verlust von untergeordneten Bauteilen führen. Um im Beispiel zu bleiben, wird hier die weiße Seite einer Kokerei in ihrer Ausdehnung und Höhenentwicklung erhalten, die „Feinheiten“ wie Rohrleitungssysteme, Maschinen und andere Anlagenteile werden jedoch abgebrochen. Die technischen Abläufe sind bei dieser Vorgabe für die Verlustplanung nicht mehr vollständig ablesbar.

Fazit
Neben einer Verlustplanung anhand der Vorgaben Funktionszusammenhang oder Kubatur sind natürlich auch noch andere Vorgaben denkbar. Es ist grundsätzlich wichtig, überhaupt eine Vorgabe festzulegen, um zu einem transparenten und nachvollziehbaren Planungsprozess zu kommen.
Um eine Konzeptfindung für die Verlustplanung und die damit verbundenen Rückbaumaßnahmen oder Entfeinerungen zusätzlich zu unterstützen, kann die vergleichende Betrachtung von Erhaltungszuständen und die prognostizierte Verfallsgeschwindigkeit einzelner Materialien eine wertvolle Hilfestellung leisten: dünnwandige Bleche sind weniger stabil im Vergleich mit dickwandigen Rohrquerschnitten (weiterführend dazu in Kapitel „Pflegeplan“). Sind die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichend, um eine umfassenden Erhaltung des Industriedenkmals in allen seinen Bestandteilen zu ermöglichen, können auf diese Weise immerhin Strategien erarbeitet werden, die eine Auswahl der zu erhaltenden Teile des Industriedenkmals ermöglichen und die optimale Verwendung der vorhandenen Ressourcen garantieren. Unterschiedliche Abbruch- und Entfeinerungsszenarien sollten dabei einander vergleichend in Alternativen gegenüber gestellt werden.

Als Handlungsalternative sollte bei der Verlustplanung jedoch immer beachtet werden, dass bei stark geschädigten Bereichen eines Industriedenkmals auch eine reine Absperrung für Besucher eine Sicherungsmaßnahme darstellt: Sie kann das Denkmal „über die Zeit bringen“, bis zu einem späteren Zeitpunkt doch noch Erhaltungsmaßnahmen möglich sind.
Bei der Verlustplanung können für eine Entscheidungsfindung die folgenden Stichpunkte herangezogen werden, die am Industriedenkmal in der Regel als Mischung aller hier aufgelisteten Aspekte anzutreffen sind:

  • Die Verkehrssicherheit innerhalb eines Industriedenkmals kann nur dann gewährleistet werden, wenn regelmäßig schadhafte Bauteile, wie Rohre, Kabel, Halterungen usw. demontiert werden.
  • Schadstoffe, wie künstliche Mineralfasern als Dämmung oder Asbest als Dichtung gefährden die Nutzung des Industriedenkmals und können nur durch Rückbau der kontaminierten Bauteile beseitigt werden.
  • Bauteile, wie dünnwandige Blechummantelungen, sind für eine zeitlich begrenzte Nutzungsdauer errichtet oder schon zu Betriebszeiten regelmäßig erneuert worden, weil ihre Beschaffenheit sich einem dauerhaften Erhalt widersetzt.
  • Die Standzeit einzelner Konstruktionen ist unmittelbar von den Rahmenbedingungen der ursprünglichen Nutzung abhängig, wie z.B. die Erosion von Mauerwerk an stillgelegten Schornsteinen auf fehlende Abwärme zurückzuführen ist.