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Leitvorstellungen im Umgang mit dem Denkmal

Autoren:
Kornelius Götz
Norbert Tempel

Extremer Eingriff: Dieses aus massivem Ziegelmauerwerk errichtete Verwaltungsgebäude am japanischen Stahlstandort Jawata wurde durch massive Einbauten erdbebensicher gemacht Bildurheberrechte: Norbert Tempel

Ausgangsbasis für die Entwicklung einer Leitvorstellung muss die Formulierung des Denkmalwertes sein, der idealerweise in der Denkmalbegründung niedergelegt ist. Auf jeden Fall muss konkretisiert werden, welche [materiellen] Aspekte eines Bauwerks bzw. einer Industrieanlage die die Denkmal-Eigenschaft begründenden, zwingend zu erhaltenden Werte (engl. „Values“ – siehe umfangreiche Literatur dazu /–>verlinken!) darstellen. Die internationale Grundlage des Denkmalwerts wurde in Chartas des International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) niedergelegt. Ausschlaggebend sind dafür die Charta von Venedig (für Bauwerke), die Charta von Florenz (für Gärten und Landschaften) und die Charta von Washington (für historische Siedlungen und Stadtgebiete). Von großer Bedeutung speziell für Industriedenkmale ist die vom australischen ICOMOS-Nationalkomitee verabschiedete Charta von Burra, die Denkmalwert als „ästhetische, historische, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Werte für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Generationen“ definiert. Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte, dem sei die ICOMOS-Publikation „Denkmalpflege – Internationale Grundsätze in Theorie und Praxis“ empfohlen (freier Download als PDF).

Einen „Denkmal-Werte-Dialog“, eine „historisch-kritische Analyse und systematisch-praktische Konzeption denkmalpflegerischer Leitwerte“ hat ein 2013 abgeschlossenes Forschungsprojekt  unternommen, Abschlussdokumentation siehe „DENKmalWERT“. Eine private Webseite diskutiert die Themen Denkmal- und Erinnerungswerte fortlaufend.

Dazu treten die Nutzungsvorstellungen des Eigentümers / Verfügungsberechtigten, die fast immer Eingriffe in den Denkmalbestand implizieren. Eine „nutzungsneutrale“ Restaurierung wäre ein idealistisches Ziel, das kaum zu erreichen ist. Der Abgleich zwischen einem größtmöglichen Schutz des Denkmals und einer [sinnvollen] Nutzung erfordert einen intensiven Abwägungs- und Diskussionsprozess zwischen den Interessen des Bauherrn und der Denkmalbehörde. Aber auch bei Bauten ohne Denkmaleigenschaft sollte sehr gut überlegt werden, welche Aspekte des Bauwerks zu erhalten sind, um den „Spirit of the Place“ nicht zu zerstören – letztlich auch ein ökonomisch sinnvolles Vorgehen.

Leitvorstellungen im Umgang mit einem Industriedenkmal können hilfreich sein, um das Ziel der Erhaltungsbemühungen allen Beteiligten auf plakative Weise anschaulich zu machen. Der Begriff „Leitvorstellung“ ist bewusst weiter gefasst als der häufig verwendete Begriff „Restaurierungsziel“, da er auch andere Möglichkeiten und Verfahrensweisen im Umgang mit dem Industriedenkmal einbezieht.

Beispielhafte Verfahrensweisen im Umgang mit dem Industriedenkmal:

  • Alterung – Zulassen weiteren Verfalls, Ergebnis ist eine Ruine;
  • Konservierung eines vorgefundenen Zustandes – Stabilisierung, Vermeiden von Eingriffen soweit irgend möglich;
  • Reparatur – handwerklich saubere Arbeiten zur Beseitigung von Schäden, die ohne Eingriff zu weiterem Verfall führen würden, also z.B. an Dach und Fenstern;
  • Restaurierung – bauliche bzw. restauratorische Maßnahmen aufgrund von eindeutigen Befunden (z.B. Befunde der Farbigkeit von Innenwänden, Stahlprofilen u.ä.), die ggf. einen nicht mehr vorhandenen Zustand aufgreifen bzw. sich diesem annähern, um die Lesbarkeit eines Denkmals zu erhöhen bzw. zurückzugewinnen. Auch Freilegungen bzw. Freilassungen können dazu beitragen. Fälschlicherweise wird oft behauptet, man könne durch Restaurierungsmaßnahmen den „Originalzustand“ wiedergewinnen, was jedoch völlig unmöglich ist. Das Entfernen von Spuren der Vernachlässigung und Vandalismus wird gemeinhin als sinnvoll und notwendig erachtet. Ein typisches, bei Industriedenkmalen allgemein akzeptiertes Restaurierungsziel ist der „gepflegte letzte Betriebszustand“.
  • Rekonstruktion – erneute Hinzufügung verlorener Bestandteile eines Denkmals, die von eindeutigen Befunden (z.B. Zeichnungen, Fotos, Spuren am Bauwerk) gestützt sein sollten. Dabei können sog. Spolien (aus dem Zusammenhang gerissene Einzelteile eines anderen Bauwerks) verwendet werden oder Bauteile neu gefertigt und mit dem Denkmal verbunden werden.

Ruine – unkontrollierter Verfall auf der japanischen Bergbauinsel Hashima, UNESCO-Welterbestätte seit 2015

Die gewählten Begriffe sind aber nicht selbsterklärend – manchmal sogar nebulös, sondern sie müssen für den Einzelfall so ausformuliert werden, dass konkrete Maßnahmen daraus abzuleiten sind. Auch die im Bauwesen regulär verwendeten Begriffe Renovierung, Instandhaltung und Instandsetzung (siehe Glossar), wie auch die von Architekten gern benutzten Begriffe Sanierung, Inwertsetzung, Ertüchtigung oder Qualifizierung sind ohne explizite Erläuterung im Umgang mit Denkmalen wenig zielführend.

Die Praxis zeigt, dass bei einem größeren Industriebauwerk, wie z.B. der Maschinenhalle der Zeche Zollern 2/4 in Dortmund, durchaus mehrere dieser Verfahrensweisen gleichzeitig zum Einsatz kommen können. Während z.B. die Wandverkleidungen aus Marmor weitgehend mit neuem Material ergänzt wurden, wurde das seit Jahrzehnten verlorene, recht gut dokumentierte Jugendstil-Vordach des Haupteingangs nicht rekonstruiert. Letztlich handelt es sich immer um einen Aushandlungsprozess, der unausgesprochen häufig ästhetischen Kriterien und den Zeitströmungen der Denkmalpflege unterliegt. Entscheidend ist dabei, dass einzelne, durchaus brauchbare Lösungen nicht dazu führen, dass ein Denkmal „auseinander restauriert“ wird, sondern auf die Gesamtwirkung geachtet wird. Gerade bei einem Industriedenkmal können bzw. sollen dabei aber auch „Brüche“, häufig entstanden durch einen robusten Umgang mit dem Bauwerk während der Betriebszeit – sei es durch rohe Umbauten oder unsachgemäße Reparaturen – durchaus sichtbar bleiben!